Szenarien der Bodenerosion
Seit Jahren ist die Leiterin des Büros für Umweltconsulting der IPROconsult, Dr. Kerstin Hartsch, national und international unterwegs, um Forschung und Entwicklung voranzutreiben und um Kommunen und Länder bei der Erosionsprävention zu beraten. Hier gibt sie einen Einblick in die komplexe Tätigkeit und die vielschichtige Kooperation mit Institutionen und Personen weltweit.
Experten arbeiten an Anpassungsmaßnahmen und Erosionsprävention
Starkregenereignisse und Überschwemmungen – so hört man im Zuge der Klimaschutzdebatte immer wieder – nehmen weltweit zu. Es sind aber nicht allein die Überschwemmungen, die zu großen Problemen führen, sondern auch die damit verbundene Bodenerosion. Unter den Schlagworten „adaption“ und „mitigation“ – also Anpassung bzw. Reduzierung– arbeiten weltweit Expertengruppen daran, die Auswirkungen niederschlagsbedingter Bodenerosion zu minimieren. Dr. Kerstin Hartsch, Büroleiterin Umweltconsulting bei IPROconsult, ist eine von ihnen: „Man muss die klimabedingten Herausforderungen annehmen und sinnvolle Schutzmaßnahmen für Bauwerke, Infrastruktur und Naturräume ergreifen“, sagt die Geologin. So wird beispielsweise in den Niederlanden vor dem Hintergrund des steigenden Meeresspiegels und überlagernden Hochwassersituationen in den Deltabereichen der Flüsse die Eindeichung von Feldern aufgegeben, um Städte und Ortschaften zu schützen (room for river program). Parallel wird die Idee der Schwammstädte (sponge cities) inzwischen auch in Deutschland als Weg angesehen, Überschwemmungen und Starkregen durch eine kluge „durchlässige“ Stadtplanung mit lokalen dezentralen Regenwasser-Speichersystemen abzufedern und das Wasser wieder nutzbar zu machen.
Mit den Auswirkungen von Starkregen und Bodenerosion beschäftigen sich in Deutschland die Experten in zwei Bereichen: Zum einen in der Land- und Forstwirtschaft, zum anderen im urbanen Kontext. Dabei differenzieren sie zwischen On-Site-Schäden, also denjenigen, die auf der betroffenen Land- oder Forstwirtschaftsfläche durch abgetragenen Boden entstehen, und Off-Site-Schäden, bei denen Infrastruktur, Ortschaften oder einzelne Bauwerke durch den sedimentbeladenen Abfluss aus den Einzugsgebieten und damit verbundener Bodenauflagerung betroffen sind. Bei dem erforderlichen Starkregen-Risikomanagement (SRR) unterstützt die Europäische Union die Kommunen durch großzügige Förderprogramme. Hier hat Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle übernommen und will künftig SRR mit Maßnahmen zur Erosionsprävention koppeln – zur Vermeidung von erosionsbedingten Off-Site-Schäden in den Kommunen. Eine Konzeptstudie hierzu soll die „Bearbeitungsstrategie der Erosionsrisikomodellierung für Baden-Württemberg“ gemeinsam durch Experten um Dr. Hartsch erarbeiten. Direkt einfließen werden dabei die Erfahrungen des aktuell in Sachsen laufenden Forschungs- und Entwicklungsprojekts, bei dem gemeinsam mit dem Sächsischen Landesamt für Umwelt, Geologie und Landwirtschaft (LfULG) Szenarienkarten der landesweiten Erosionsgefährdung entwickelt werden.
Erosionsprävention ermöglichen durch Szenarien auf breiter Datenbasis
Erosion-3D ist ein physikalisches Modell und Arbeitsinstrument, mit dem die Bodenerosion – auf einem Abflussmodell basierend – qualitativ und quantitativ bei unterschiedlichen Szenarien abgeleitet werden kann. Es sind vier Ebenen nötig, um mit Erosion-3D arbeiten zu können: Benötigt werden ein Geländemodell, Informationen über die vorkommenden Böden und die Landnutzung sowie die Niederschlagsdaten von Einzelereignissen. Liegen diese Zahlen und Fakten möglichst detailliert und hochauflösend vor, lässt sich das Modell in jeder Skalierung anwenden. „Die Eingangsdaten der vier Ebenen sind nötig, aber oft auch schwierig zu bekommen“, betont die Büroleiterin. Der Aufwand lohnt sich: Verändert man in dem Modell Erosion-3D beispielsweise das Szenario Flächennutzungen oder Schlagteilungen im Oberhang, kann sich hangabwärts der Bodenaustrag signifikant verringern. Haben die Experten verschiedene Szenarien durchgespielt, können sie fundierte Aussagen über die Wirkung von Wasserrückhaltebecken, Landnutzungsänderungen oder Flurneuordnungen machen und auf dieser Basis ihre Empfehlungen abgeben.
Ziel des aktuellen Forschungsprojekts in Sachsen ist die Minimierung der Bodenerosion durch umfassende und zielgerichtete Erosionsschutzmaßnahmen auf landwirtschaftlichen Ackerflächen. Es werden szenariobasierte, hochaufgelöste Erosion-3D-Karten mit Informationen zur Erosionssituation und -gefährdung aller Ackerflächen in Sachsen erstellt sowie mit Hinweisen zu wirksamen Schutzmaßnahmen ergänzt, die im Datenportal Sachsen (iDA) vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) veröffentlicht werden. Zudem dient die detaillierte Kartengrundlage dem LfULG künftig für eine zielgerichtete Agrarmaßnahmenförderung (EU-Förderkulissen) des Landes. Dritter Aspekt ist die Sensibilisierung und Motivation von Landwirten, umfassend und dauerhaft wirksame Maßnahmen umzusetzen. Dies soll erreicht werden über die Bereitstellung der Karten im Internet, die Veröffentlichung des Abschlussberichts, im Rahmen des Wissenstransfers zur Wasserrahmenrichtlinie und bei Fachinformationsveranstaltungen.
Freies Nachdenken über Erosion
Im November 2019 initiierte IPROconsult eine Auftaktveranstaltung zu einem „Thinktank Erosionsmodellierung“. Hier werden sich alle halben Jahre wichtige Institutionen völlig frei über die strategische Weiterentwicklung von Erosion-3D austauschen. Die Büroleiterin erklärt: „Wir verstehen diesen Thinktank als Interaktion zwischen drei Gruppen von Akteuren: staatliche Institutionen mit hoheitlichen Beratungsaufgaben, universitäre wissenschaftliche Interessenten aus Forschung und Entwicklung sowie Interessenten des Umweltmarktes, die neue praktikable Lösungsstrategien suchen.“ Mit dabei sind beispielsweise Vertreter der Universitäten Prag, Jena und Freiberg, von Firmen aus Tschechien und Sachsen oder der Landesämter für Umwelt Sachsen und Thüringen. „Weitere Teilnehmer wollen und sollen dazu stoßen, damit wir die nächsten Schritte in breitem Konsens abstimmen und Erosion-3D für die nächsten 10 bis 15 Jahre weiterentwickeln können“, erläutert Dr. Hartsch. Mit dabei sind auch Stefan Langel, Consultant aus dem Umweltbüro von IPROconsult, und natürlich an erster Stelle Dr. Michael von Werner, der „Kopf“ der Weiterentwicklung. Er hat das Simulationsmodell Erosion-3D seit 1995 entwickelt und ist seitdem führender Experte für Anwendung und Fortentwicklung.
IPROconsult zukünftig noch aktiver im Umweltconsulting
Vor dem Hintergrund einer strategischen Weiterentwicklung des Unternehmens sollen zukünftig bei IPROconsult Beratungs- und Consultingleistungen in den Bereichen Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz als neues Geschäftsfeld national und international mit Nachdruck entwickelt werden. Dr. Kerstin Hartsch ist deshalb nicht nur in Sachsen und Baden-Württemberg aktiv, sondern beispielsweise auch in Marokko: Aufgrund der Verschlechterung der Klimabedingungen in dem nordafrikanischen Land werden steigende Intensitäten bei Starkniederschlagsereignissen vorhergesagt. Dadurch steigt die Erosionsgefahr großer Gebiete in Marokko intensiv an. Neue Planungsinstrumente sind erforderlich, um eine reproduzierbare Bewertung und Vorhersage von Bodenerosionsrisiken auf Einzugsgebietsebene zu ermöglichen. Ein neues, von IPROconsult mitentwickeltes Risikomanagementsystem soll zur Vorhersage abflussbasierter Bodenerosion eingesetzt werden, um die mögliche Zerstörung von Infrastruktur, wie Autobahnen, durch gezielte Schutzmaßnahmen innerhalb der betroffenen Einzugsgebiete zu reduzieren.
Entlang der Autobahnen in Marokko werden „Hot Spots“ mit hohem Erosionsrisiko identifiziert und beispielhafte Piloteinzugsgebiete ausgewählt. Diese Pilotregionen werden hinsichtlich ihrer potenziellen Minderung des Bodenerosionsrisikos durch verschiedene Szenarien von On-Site- und Off-Site-Maßnahmen bewertet – mit Schwerpunkt auf vegetativen Erosionsschutzmaßnahmen einschließlich der Anpassung der landwirtschaftlichen Bodennutzung.
Schutz der Nazca-Linien in Peru
Zeitgleich mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa kehrte Dr. Hartsch aus Peru zurück. Hier hatte sie im Verbund mit verschiedenen Institutionen und renommierten Universitäten bereits an der dritten mehrwöchigen Expedition teilgenommen. Ziel ist es, die Auswirkungen des Klimawandels auf das UNESCO-Weltkulturerbe der Nazca-Linien zu untersuchen. Die mehr als 1.500 riesigen, nur aus der Luft sicht- und erkennbaren Scharrbilder in der Wüste bei Nazca und Palpa in Peru drohen unter anderem durch erosive Vorgänge zu verschwinden. „Wir wollen einen kleinen Beitrag leisten, um Änderungen im geogenen Umfeld dieses Weltkulturerbes zu überwachen und die Nazca-Linien langfristig zu schützen“, erläutert die Büroleiterin. So ist ergänzend in der zweiten Jahreshälfte geplant, mit weiteren drohnenbasierten Luftbildflügen die potenziell gefährdeten Bereiche multispektral zu untersuchen.