Graue Substanz – Das Gold der Zukunft
Beim von IPROconsult organisierten Symposium mit dem Untertitel „Sanieren, Umnutzen, Erweitern“ am 21. September 2023 tauschten sich rund 60 Expertinnen und Experten sowie Interessierte im Dresdner Kraftwerk Mitte über das Potential des zirkulären Bauens und die verschiedenen Möglichkeiten zur CO2-Reduktion in der Bauwirtschaft aus.
"Graue Energie"
... bezeichnet die Energiemenge, die der Erstellung eines Gebäudes für Bau, Herstellung und Transport aufgewendet wurde. Die graue Energie umfasst den nicht-erneuerbaren Primärenergiebedarf eines Gebäudes und seiner Baustoffe über die gesamte Lebensdauer. Sie wird maßgeblich von der Art der Baustoffe bestimmt: Beton hat beispielsweise einen deutlich höheren Anteil grauer Energie als Holz. Die Nutzung dieser bereits investierten grauen Energie anstelle des unnötigen Abbruchs von Gebäuden ist ein nachhaltiger Ansatz im Bauwesen, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Die Sanierung von bereits bestehenden Gebäuden ermöglicht die Weiterverwendung vorhandener grauer Energie und vermeidet den Bedarf an neuen Ressourcen und Energie für Abriss, Entsorgung und Neubau. Der Begriff „Graue Substanz“ leitet sich hieraus ab und bezeichnet die Bausubstanz von Bestandsgebäuden.
„Sogar die Bundesregierung mit Bauministerin Klara Geywitz will jetzt den Bestand stärken und umreißt Pläne für eine neue Förderung. Denn eine Stärkung der Bauindustrie, auf welchem Weg auch immer, ist dringend nötig“, sagte Danyel Pfingsten in seiner Begrüßung. „Wir freuen uns jedenfalls, dass wir mit dem gewählten Thema ‚Graue Substanz – Das Gold der Zukunft‘ voll im Trend der Zeit liegen.“ Der Geschäftsbereichsleiter Architektur und Hochbau der IPROconsult war gemeinsam mit seinem Kollegen Jörn Jacobs, der den Geschäftsbereich Umwelt, Energie, Fabrikanlagen verantwortet, Gastgeber des ganztägigen Symposiums. Pfingsten stellte seine These den nachfolgenden Vorträgen voran: „Dass wir wesentlich mehr Wohnungen in den Ballungsgebieten benötigen, sehen wir an den kontinuierlich steigenden Mieten und nötigem Zuzug, bei leider steigendem Bedarf an Wohnfläche pro Kopf. Bei 500 bis 800 kg C02/qm im konventionellen Neubau produzieren wir beim Bau der benötigten 400.000 benötigten Wohnungen rund 260 Mio. t CO2. Somit liegt in der richtigen Sanierung und Umnutzung der Schlüssel zum Erfolg in der CO2-reduzierten Schaffung von Flächen.“
Aufstocken & Umnutzen
Wohnwende-Ökonom Daniel Fuhrhop griff in seiner Key-Note unter dem Titel „Bauwende: Die Zukunft ist nichts Neues“ diese These auf. Er regte das Aufstocken und Verdichten von Bestandsgebäuden an, was 2,4 Mio. Wohnungen bringen würde, das Umnutzen mit einem Potenzial von 1,86 Mio. und das Beseitigen von Leerstand mit einem Potenzial von 1,7 Mio. Wohnungen. „Selbst bei einer Potenzialabschöpfung von zehn Prozent hätten wir so auf Jahre genügend neuen Wohnraum“, betonte Fuhrhop.
Wie das alles mittels Fördermitteln zu finanzieren wäre, erläuterte Susanne Weidelt. Die Architektin und Energieeffizienz-Expertin leitet bei IPROconsult das Team Energieplanung. Von den Chancen durch die BEG-Förderung bis hin zur Entwicklung von Energiekonzepten spannte sich der Bogen ihres Vortrags. Sie verwies ebenso auf Zuschüsse für Energieaudits wie für kommunale Wärmeplanung, Machbarkeitsstudien zur Energieversorgung eines Quartiers und Energiekonzepte gemäß der Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft.
Künstliche Intelligenz für die Planung
Von der digitalen Datenerfassung bis zum digitalen Gebäudezwilling reichte das Themenspektrum von Christoph Wintrup, Geschäftsführer des Hemminger Ingenieurbüros. Er präsentierte Möglichkeiten zur Vermessung von Bestandsgebäuden als solide Basis für die Sanierung: Photogrammetrie, Terrestrische Laserscanner, Mobile Mapping und Tachymeter würden bei der Erfassung einen hundertprozentigen Erfolg sicherstellen. Mit Mobile Mapping wäre es beispielsweise heutzutage realistisch, 5.000 Quadratmeter Büroflächen an einem Tag zu erfassen. Auch den weiteren Weg vom 2D-Plan zum 3D-Modell konnte Wintrup anschaulich verdeutlichen: „In Bildverfahren wird KI zunehmend eingesetzt, in Punktwolken steht die Entwicklung noch sehr am Anfang. Mit wachsender Entwicklung von AI/ML-Algorithmen sind auch Analysen von großen Datenmengen wie Punktwolken denkbar“, lautete sein Fazit.
Serielle Sanierung
Noch vor dem Mittag gab die Seniorexpertin bei der dena (Deutsche Energie-Agentur), Simone Alexia Saiegh, einen Überblick und Einblicke in das serielle Sanieren nach dem Energiesprong-Prinzip (s. hierzu auch ‚Projekte + Akteure‘ 36/2023, S. 17 ff). Ihre Vision: „Schaffung eines Marktes für klimaneutralen, bezahlbaren und attraktiven Wohnraum durch serielle Sanierung“. Dafür bedürfe es standardisierter Produkte und Prozesse vom 3D-Scan über die Projektierung bis zur Montage. Ziel sei es, bei der Sanierung skalierbare Lösungen mit hohen Qualitätsstandards zu entwickeln. Anhand von verschiedenen Pilotprojekten konnte die Seniorexpertin über erste gangbare Wege und Erfolge berichten.
Zirkuläres Bauen
Den Reigen der Redner beendete Luise von Zimmermann vom Business and Product Development der Concular, dem Marktführer für zirkuläres Bauen. Sie präsentierte „das digitale Ökosystem für zirkuläres Bauen“. Gleich zu Beginn verwies sie darauf, dass die Baubranche verantwortlich ist für 60 Prozent des globalen Abfallaufkommens und 38 Prozent der CO2-Emissionen – davon die Hälfte in der Produktion. Ein Verlängern der Lebensdauer von Produkten und Bauteilen durch Wiederverwenden, Reparieren und Wiederaufbereiten könnte Emissionen, Abfall und Ressourcenverbrauch reduzieren. Das Ziel müssen klar sein, so von Zimmermann: „Die Ressourcen von heute für morgen verfügbar machen.“
Serielle Sanierung
In der abschließenden Podiumsdiskussion waren sich die Teilnehmer einig: „Die serielle Sanierung ist ein überlegenswerter Ansatz.“ Er sorgt durch das Standardisieren dafür, das Sanieren günstiger zu gestalten. Ebenso einig war man sich: Es gibt nur viele kleine aber nicht den einen großen Hebel. Wichtig sei es, mit dem Bestand respektvoll umzugehen. Dies gelte gleichermaßen für Ämter, wie für Investoren und Nutzer. „Als Unternehmen, als Planer und Architekten müssen wir das Thema ernst nehmen und uns in den Dienst der Umsetzung stellen“, betonte Danyel Pfingsten. Sein Kollege Jörn Jacobs ergänzte im Schlusswort: „Wichtig ist die Vernetzung im Denken und Handeln. Das Erfassen von Daten, das serielle Sanieren, die Umnutzung von Gebäuden und die Wiederverendung von Materialien müssen zu einem bewussteren und nachhaltigeren Umgang mit unseren Ressourcen und der Umwelt führen.“